Herbst 2010: Auf den Beiratssitzungen ist es ein alter Hut: Seit zwei Jahren ist ein bei den Schülern sehr beliebter Teil des Schulhofes mit ehemals einladenden, nun aber morschen Holzdielen, wegen Unfallgefahr abgesperrt. Der hässliche Gitterzaun droht zum festen Bestandteil der Hofoptik zu werden. Zweimal schon haben wir eine finanzielle Rücklage dafür mit ins nächste Kalenderjahr genommen.

Allein der Verdacht, dass die Bewältigung dieses Projektes komplexerer Natur sei und als Baumaßnahme nicht zu bewältigende Kosten verursachen würde, lässt uns immer wieder zögern.Ein intelligenter Plan, so überlegen wir, das wäre ein Anfang. Ich notiere in meinem Kalender: Arnos Vater fragen, Landschaftsarchitekt! Noch ahnen wir nicht, was für ein Glücksfall nicht nur dieses Wissen um den Beruf eines Schülervaters sein wird (Elternkompetenznetzwerk) und dass wir mit Dr. Carlo Becker einen versierten, bundesweit beratenden Strategen zum Thema „Selbermachen, Kooperative und selbstorganisierte Freiraumnutzung" anfragen, der uns mit innovativem Know-how und weitsichtiger Betreuung zum Abschluss unserer Vision verhelfen wird. Das Geistreiche an einer Mitmachbaustelle ist vor allem, neben dem hohen Grad an Identifizierung, der Fakt, dass wirklich relevante Informationen der Nutznießer zur Grundlage des Planes werden.

Winter 2010/2011: Carlo Becker meldet sich bei der Vorsitzenden des Fördervereins, trifft sich zur Ortsbegehung mit dem Schulleiter, befragt nicht nur seinen Sohn, sondern lädt im Dezember 2010 zum Schülerworkshop nach Hause ein. Als Ergebnis entsteht eine beeindruckende, dreiseitige Broschüre mit klarer und verständlicher Struktur für alle Unterstützer und Sponsoren: „Wie es mal war! Wie soll es sein? Wie geht es weiter? Was fehlt noch?" Ein Papier, wie man es sich in einer demokratischen Bürgergesellschaft, in der alle Verantwortung übernehmen, nicht besser vorstellen kann! Und schon wächst auch der nächste Kooperationspartner vom Senat „Grün macht Schule" dazu. Der Schülersprecher des Komitees für Pavillon & Chill-Out-Podest, so die offizielle Bezeichnung, infiziert seinen Großvater, einen Dachdecker. Denn ein Dach, das beschließen die Schüler, muss es definitiv geben, koste es, was es wolle!

Die Prozessbeteiligung ist mit dem Beginn des neuen Jahres 2011 in vollem Gang. Vor allem für Carlo Becker. Normalerweise würde er solche Projekte in der Bearbeitung an sein Büro abgeben. Nun aber leistet er Betreuung und Durchführung von A bis Z, kümmert sich um die Schnittstellen zu den Baufirmen und sucht mit nach sinnvollen Beschäftigungsinitiativen, die Kosten sparen helfen sollen. Ein neuralgischer Punkt, die Kostenplanung und das Controlling! Eine Studentin kann gewonnen werden, genaue Pläne zu zeichnen. Aus geschätzten zehn Kubikmetern Fundamentbauschutt, der abtransportiert werden muss, werden reale 30 Kubikmeter und damit plötzlich 600 Euro Mehrkosten. Die Sprache auf dem Bau ist rau, Angebote müssen verhandelt werden. Wo können die willigen Helfer eingesetzt werden? Wer macht die Bauaufsicht? Der Hausmeister hilft gerne ab und zu, die Lieferungen der Firmen aber wollen ständig kontrolliert sein.

Frühjahr 2011: Also radelt Carlo Becker morgens vor der Arbeit kurz auf die Schulbaustelle. Eine Projektwoche der Schüler soll weitere Beteiligung ermöglichen, doch dies scheitert am verspätet gelieferten Material. Aber die fixe Arbeitslehreklasse von Herrn Schulze steht bereit: Endlich nach Ostern kann ihr Einsatz bei den Holzarbeiten beginnen. Und wieder fällt in letzter Minute plötzlich ein Handwerker aus, der das Anleiten der Schüler auf der Baustelle versprochen hatte.

Sommer 2011: Endlich ist es geschafft: Am 15. Juni gibt es eine interne Einweihung mit den wichtigsten Beteiligten. Carlo Becker redet vor den Schülervertretern, Helmut Ostrower vom Förderverein, der Schulleiter Herr Brunswicker und Herr Coenen von der Senatsverwaltung sind anwesend. Noch sieht alles etwas nackt aus, früher waren da viel mehr Pflanzen, die der Schülerecke ihren intimen Charakter gaben. Aber auch darüber reden sie und haben schon wieder Ideen: Warum nicht das Grünflächenamt fragen, ob sie Bäume übrig haben? Wie kann man weitere Sponsoren finden?

Herbst 2011: Am 16. September 2011 um 16:00 Uhr: voller Stolz präsentiert der Förderverein zum großen Sommerfest der Schule die neue Chill-Out-Area. Eigens im Stil von Stempeldrucken hat die im Beirat tätige Mutter und Künstlerin Käthe Kruse mit roter Lackfarbe das „Powered by FV SSO EV 2011" auf das japanisch anmutende Dach der Chill-Out-Area aufgemalt.

So etwas passiert nur dann, wenn alle wach sind und wenn gesellschaftliche Verantwortung auf einen Geist trifft, der Gelegenheiten wahrnimmt und tätig wird. Natürlich könnten wir an Schule verzweifeln und über System und Bürokratie jammern. Aber das würde den Blick auf viele Möglichkeiten versperren, die unser soziales, moralisches und politisches Sein als Haltung ausmachen. Und so wollen wir auch in Zukunft wirken: gemeinsam „Kümmererstrukturen" ausbilden, in denen sich ein Geist von aktivem Handeln und Gestalten herausbildet.

Kirsten Hense

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